Donnerstag, 25. April 2024
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Strategiekonferenz gegen Kinderarmut: viele neue Worte — bleibende verfassungswidrige Verhältnisse!

Familien- und Kinderarmut in Berlin

Von Michael Springer

13.545 Kinder sind in Lichtenberg von Armut betroffen, das sind 28 Prozent aller Kinder unter 18 Jahren. 34 Prozent aller Familien sind alleinerziehend und jeder dritte Minderjährige lebt in Lichtenberg in einem Haushalt mit SGB-II-Leistungsbezug. — Das ist eine menschliche und volkswirtschaftliche Katastrophe!

Vor allem ist es eine Katastrophe für die Verfassungs-Demokratie, die elementare Bürgerrechte, Menschenwürde und Menschenrechte nicht mehr für alle Bürgerinnen und Bürger und ihre Kinder sichern kann!

Die zum 1.1.2023 in Gang kommende Bürgergeld-Reform bringt nicht mehr sozialen Ausgleich, sondern verschärft die sozialen Ungleichheiten zwischen „Arm & Chancenreich!“ — Ein Blick in Haushaltskassen von Alleinerziehenden offenbart auch: es ist kein „Bürgergeld“, sondern vor allem „Vermietergeld“ — ein durchlaufender Posten — der noch nicht einmal Reallohnverluste, Mietnebenkostensteigerungen und den Inflationsausgleich auffängt! — Vermieter können ein Stück ruher wirtschaften – Alleinerziehende müssen noch mehr „Sparen & Strampeln“ und müssen obendrein dabei viel Alltagsleid in Kauf nehmen — bis hin zu Prekarisierung, Deprivierung, Verbitterung und Armuts-Depression!

Bezirk Lichtenberg steuert dagegen — Armutsbekämpfung mit Leitsätzen und Experten-Strategien

Bezirksbürgermeister Michael Grunst und das Bezirksamt Lichtenberg steuern dagegen, und haben zur Armutsbekämpfung vor allem „Experten- und Betreuungsstrategien“ in Gang gebracht, die die Zukunft der Kinder im Blick haben, und Betreuungsangebote ausbauen.

Die erste Kinderarmutskonferenz am 13. November 2019 in Lichtenberg machte den Auftakt. Heraus kam eine Lichtenberger Erklärung zur Kinderarmut, die „Jedem Kind eine Perspektive!“ geben will! — Ein Leitsatz, der „Expertenherzen“ und „JugendpolitikerInnen“ erfreut, der aber keine zusätzlichen Haushaltseinkommen und Erwerbseinkommen in den betroffenen Zielgruppen generiert!

Die Zielen der „Armutsbekämpfung“ der UN-Agenda 2030 werden auch verfehlt, weil man zwar Staatsausgaben und Betreuungsstellen für Kinder mehrt, aber das nachhaltige Wachstum von Erwerbseinkommen bei den Eltern dabei völlig außer Acht lässt!

Immerhin: der 1. Lichtenberger Kinderarmutsbericht 2021 zeigt deutlich Daten, Ursachen und Struktur der Familien- und Kinderarmut in Lichtenberg an.

Mit der opulenten Agentur-Internetseite „Familienfreundlich-Lichtenberg“ wurde die „2. Lichtenberger Kinderarmutskonferenz 2021 am 26. Mai 2021 angekündigt und dokumentiert. Notiz am Rande: Kinder aus Lichtenberg sind nicht zu sehen, wohl aber eine freudige Kindergruppe von einem Adobe-Stock-Foto!
Die Realität der Armut in Lichtenberger Quartieren wird so ausgeblendet — ein Problem, das auch alle Presse-Redaktionen trifft: mit der EU-Datenschutzgrundverordnung wollen sich auch viele Menschen und vor allem Eltern mit Kindern nicht mehr in prekären Situationen fotografieren lassen!

Die Berliner Jugend- und Sozialpolitik kann sich so leicht von der kruden Realität abheben, und planende und träumende Strategien entwerfen, die immer neue staatliche Betreuungsaufgaben und Betreuer-Arbeit schaffen!

Im Rahmen einer Strategiekonferenz am 28. November 2022 im Rathaus Lichtenberg wurde die begonnene „Armutspräventions-Politik“ fortgeführt:

Das Bezirksamt Lichtenberg informierte über seine Präventionsstrategie gegen Kinderarmut und stellte rund 50 Teilnehmenden bisherige und künftige Projekte und einen neuen Aktionsplan vor.

Über Inhalte des Aktionsplans „Jedem Kind eine Perspektive,“ sprachen die Bezirksstadträtin für Familie, Jugend und Gesundheit Camilla Schuler (Die Linke), Dr. Sandra Born, Leiterin der fachlichen Steuerung der Kinderarmutsprävention in Lichtenberg, sowie Vertreter:innen der Arbeitsgruppen:

  • Die AG „Armut und Gesundheit“ stellte die Arbeit der Schulgesundheitsfachkräfte und ihren Start an sechs Schulen in Lichtenberg vor. Die neuen Fachkräfte begegnen gesundheitlichen Problemen von Schüler:innen individuell und zielgerichtet.
  • Die AG „Armut und Existenzielle Versorgung“ informierte über Konzepte zur Schuldenprävention für Kinder und Jugendliche an Kitas und Schulen,
  • unterstrichen wurde zudem die Forderung, Multiplikator:innen nach dem „Train-the-Trainer-Prinzip“ auszubilden.
  • Die AG „Armut und soziale Teilhabe“ und die AG „Armut und Bildung“ votierten für den Aufbau des Projektes „Kinderstadt für Lichtenberg,
  • Ferner soll eine kommunale Stelle für Jugendmentoring eingerichtet werden, um herkunftsbedingte Bildungsungerechtigkeiten aufzufangen.

Die Lichtenberger Jugend- und Sozialpolitik kann so kontinuierlich anknüpfen und vermeintliche und reale neue Erwartungen und Hoffnungen wecken, ohne eine wirksame ganzheitliche Lösungsstrategie für Eltern und Kinder gemeinsam anzubieten, die Ungerechtigeiten bei den Erwerbseinkommen lindert und abbaut! — Es bleibt damit „Jugend- und Sozialpolitik über die Köpfe hinweg!“

— Kommunalwirtschaftlich, haushaltspolitisch und volkswirtschaftlich ist das eine bedenkliche Strategie, weil sie nur einseitig auf Vermehrung staatlicher Betreungs-Aufgaben und Ausgaben baut — ohne neue lokale Einnahmepositionen und Haushaltseinkommen zu verbessern! —

Armutsbekämpfung geht besser — und ganz anders!

Zeitgemäße Armutsbekämpfung beginnt mit einer disruptiven Frage: „Was wäre, wenn Menschen, die gegen Armut gekämpft haben, an Entscheidungen zur Armutsbekämpfung beteiligt wären?“

Das Beispiel der „Poverty Truth Commissions“ in Großbritannien zeigt einen mitfühlenden und sensiblen partizipativen Ansatz! — Die „Armuts-Wahrheits-Kommissionen“ bestehen aus Beauftragten aus zwei Personengruppen:

  • Rund die Hälfte der Beauftragten sind Menschen mit gelebter Erfahrung im Kampf gegen Armut.
  • Die andere Hälfte sind kreative Führungskräfte in der Stadt oder Region.

Gemeinsam arbeiten sie daran, die jeweilige lokale und situative „Natur der Armut“ zu verstehen, was die zugrunde liegenden Probleme sind, die Armut verursachen. Und sie erforschen gemeinsame und kreative Wege, um die Armut zu überwinden, und neue Erwerbsformen, Teilzeit- und Nebenerwerb und völlig neue Erwerbseinkommen zu entwickeln.
Auch die Wiederbelebung von Sparvereinen, Kinder-Spar-Aktionen und die Förderung von Erwerbsarbeit in Allmende- und Gemeingut-Initiativen im Quartier gehören dazu! — Auch Online-Marktplätze und eCommerce sind kein Tabu! — Auf jeden Fall: es geht viel mehr als bisher, und mehr als die Jugend- und Arbeitsmarktpolitik bisher erlauben und ermöglichen! — Wagemut zu Aufbruch ist gefragt!


Kontakt: info@lichtenberg-nachrichten.de | Stichwort: 1. Poverty Truth Commission „Lichtenberg“